“Schauen wir mal, was wir heute gefangen haben!” Aus dem Sack, den Kris und Steffen aus dem Kanu wuchten, ziehen die beiden keinen frisch gefangenen Fisch fürs Abendessen, sondern unappetitlichen Müll. Ihre heutige Ausbeute: Plastikplanen, eine Styroporplatte, ein alter Kanister, gefüllt mit einer seifigen Flüssigkeit, sowie die Überreste einer Schirmkappe – das gleiche Modell wie Steffen es gerade auf dem Kopf trägt. Der unglaubliche Zufall bringt die beiden Männer zum Lachen. Doch aus ihren Gesichtern lesen wir auch: So richtig lustig ist der kuriose Fund eigentlich nicht. Denn dieser ganze Mist hat hier – im nördlichen Polarmeer – eigentlich nichts zu suchen.
Doch Tatsache ist: Tausende kleine Inseln vor der Küste Norwegens gehen im Müll geradezu unter. Dabei leben kaum Menschen in der Region. Es ist die Meeresströmung, die den Abfall in den hohen Norden schwemmt – aus zum Teil weit entfernten Ländern, darunter Frankreich, Island, Kanada und sogar China. Auch Müll aus Deutschland ist dabei. Für Steffen, der eigentlich in Dresden zuhause ist, besonders schwer zu verdauen. Zurück in seiner Heimat startet der Filmemacher deshalb ein Experiment: Mit selbst gebauten GPS-Bojen will er den Weg des Mülls über die Elbe bis ins Nordpolarmeer verfolgen. Die abenteuerliche Reise, die er im Schlepptau dieser “Drifter” erlebt, hält Steffen Krones mit der Kamera fest. The North Drift, der daraus entstandene Dokumentarfilm, ist ab 27. Oktober im Kino zu sehen.
Jedes Jahr werden über 10 Millionen Tonnen Plastikmüll ins Meer gespült. Dr. Erik van Sebille, Ozeanograf der Universität Utrecht, erklärt: Nur ein Prozent dieses Mülls treiben auf der Oberfläche, 99 Prozent verschwinden – aber wohin? Ein Teil sinkt zum Meeresboden. Ein weiterer Teil wird von der Strömung erfasst und mitunter tausende Kilometer weiter wieder an Land gespült.
Wohin genau der Ozean den Müll trägt und schließlich anschwemmt, ist größtenteils unbekannt. Auf dem Computerbildschirm des Wissenschaftlers tanzen bunte Punkte über eine virtuelle Weltkarte – Simulationen der Meeresströmungen, die vermuten lassen, wo die unentdeckten Endstationen der Müllreise liegen. Auch Steffens GPS-Drifter geben Aufschluss. Sie werden ihn schließlich zu den Lofoten, einer Gruppe von mehreren tausend kleinen Inseln nahe der Küste des nördlichen Norwegens, lotsen.
Auf den Lofoten ist das Problem bekannt und wird bekämpft: 16 Menschen arbeiten in der entlegenen Gegend Vollzeit daran, den weit gereisten Abfall einzusammeln – eine frustrierende Sisyphos-Arbeit, denn täglich wird neuer Müll angeschwemmt. Das gesammelte Plastik wird verbrannt und so zumindest etwas Strom für die Region produziert – “die neue Kohle”, scherzt Steffen. Werden wir ab sofort giftiges Plastik statt klimaschädlicher Kohle aus der Umwelt abbauen? Die Ironie schmerzt.
Viele der Plastikteile, die sich an den Stränden der Inseln sammeln, sind bereits zerfallen und deshalb zu klein, um von bemühten Händen aufgeklaubt zu werden. Fein wie Staub sind die Teilchen bereits untrennbar mit der Natur verbunden. Die Sammler:innen müssen sie zurücklassen. “Es ist frustrierend und traurig”, stöhnt eine von ihnen.
Ist Plastik längere Zeit dem Salzwasser oder der Witterung ausgesetzt, zerfällt es in winzige Teile. Dieses Mikroplastik ist besonders tückisch – über die Ozeane, aber auch über die Luft gelangt es in alle Winkel der Erde. Und ist es erst einmal in der Natur, ist es von dort kaum wieder wegzubekommen. Es wird von Tieren aufgenommen und gelangt als mikroskopisch kleines Nanoplastik bis in ihre Zellen. Das kann oxidativen Stress und in weiterer Folge auch Schäden am Erbgut auslösen, berichtet Dr. Lars Gutow, Meeresbiologe am Alfred Wegener Institut. Sogar in menschlichen Föten wurde Mikroplastik schon nachgewiesen, zeigt sich seine Kollegin Dr. Melanie Bergmann später im Film besorgt.
The North Drift erschüttert nicht nur. Neben mit der Landschaft verschmolzenen Müllbergen fängt der Film auch die atemberaubende Schönheit des arktischen Lebensraums ein – und führt uns damit vor Augen, was wir durch unser achtloses Tun aufs Spiel setzen: Orcas und Pottwale fühlen sich in den Gewässern genauso wohl wie viele andere marine Lebewesen, darunter einige, die nur hier leben. Ihr spezielles Pool an Arten, die sich perfekt an die widrigen Bedingungen angepasst haben, macht das nördliche Polarmeer zu einem einzigartigen Ökosystem.
Mit den reisefreudigen Plastikteilen gelangen allerdings auch fremde Mikroben aus ganz anderen Gewässern über den Polarkreis – blinde Passagiere, die das ökologische Gleichgewicht der Arktis empfindlich stören können. Sie beunruhigen den Inuit Kris, der das Phänomen erforscht und Steffen auf der Jagd nach den angeschwemmten Driftern in Norwegen zur Seite steht. Neben der Neugier, die das Experiment vorwärts treibt, teilen die Freunde auch die fast kindliche Freude über gefundene Drifter, die allerdings meist in Erschütterung ob der dort ebenfalls vorgefundenen Müllmassen übergeht.
Auch wenn die Gefahren der Plastikflut noch nicht gänzlich erforscht sind. Die von Steffen Krones interviewten Wissenschaftler:innen stützen mit bedrückenden Zahlen und Konklusionen eine eindeutige Botschaft: Wir müssen jetzt etwas gegen den Müll im Meer tun.
Viele haben das bereits erkannt. The North Drift zeigt Menschen, die ihre Freizeit opfern, um auf die Gefahren unseres Lebensstils aufmerksam zu machen und die Umwelt von Müll zu befreien. Ihnen liegt das Wohl der Ozeane am Herzen, dennoch werden sie es niemals schaffen, alles sauber zu machen. Den Appell zum Handeln richtet Steffen Krones’ Film deshalb abschließend an andere: Es ist die Politik, die endlich konsequent eingreifen muss, um der rücksichtslosen Plastikproduktion der Konzerne ein Ende zu setzen.