Urwald vs. Nutzwald: Wer schützt Klima und Arten besser?
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Urwald vs. Nutzwald: Wer schützt Klima und Arten besser?

Wald ist nicht gleich Wald! Wir vergleichen, welche unterschiedlichen Rollen Urwälder und Nutzwälder für die Gesundheit unseres Planeten spielen.

Totholz und mit Moos bewachsener Stamm in den Karpaten-Wäldern

Die Bedeutung der Wälder für uns Menschen und unseren Planeten ist unbestritten. Sie regulieren das Klima, speichern Wasser und bieten unzähligen Tieren, Pflanzen und Pilzen einen Lebensraum.

Vor allem in unberührten Urwäldern tummelt sich die Vielfalt. Ganz anders sieht es hingegen im Nutzwald aus, der von Menschenhand zur Produktion von Holz bewirtschaftet wird. Häufig steht hier nur eine einzige Art von Baum in Reih und Glied, dazwischen karge Leere – denn artfremde Bäume, Büsche und andere Pflanzen würden nur die Maschinen behindern, die im Nutzwald zur Pflege und Abholzung zum Einsatz kommen.

Alle Wälder sind wertvoll, doch ihr ökologischer Wert kann sehr unterschiedlich ausfallen. Wir haben Urwald und Nutzwald für euch gegenübergestellt.

Was ist ein Urwald?

Urwälder sind Wälder, die seit Jahrhunderten oder sogar Jahrtausenden von menschlichen Eingriffen ungestört wachsen. Unterschiedlichste Pflanzen, Pilze und Tiere konnten sich ganz natürlich miteinander entwickeln. Aus diesem Grund sind Urwälder besonders widerstandsfähig. Sie liefern stabile Voraussetzungen, um große Mengen CO2 über einen langen Zeitraum hinweg in ihren Bäumen und im Boden zu speichern. Daher spielen sie eine entscheidende Rolle bei der Regulierung des globalen Klimas.

Darum sind Urwälder besonders wertvoll:

  • Urwälder sind immer Mischwälder, in denen alte und junge Bäume verschiedener Arten Seite an Seite wachsen. Ihre Vegetation weist eine große Vielfalt an Bäumen, Sträuchern, Moosen und anderen Pflanzen auf, die sich gegenseitig ergänzen. Zusammen mit den Tieren und Pilzen des Waldes bilden sie ein perfekt eingespieltes Ökosystem.

  • Unterschiedlichste Tiere fühlen sich in den vielfältigen Wäldern zuhause. Der Artenreichtum von Urwäldern ist immens. Vor allem beherbergen sie eine große Anzahl endemischer Arten, die nirgendwo sonst auf der Welt vorkommen. Daher sind sie von großer Bedeutung für den Artenschutz.

  • Ihre Vielfalt macht Urwälder robust und widerstandsfähig. Krankheiten und Parasiten greifen meist nur einzelne Arten an – eine durchmischte Vegetation kann gefährdete Bäume wie ein Schutzschild vor der Ansteckung bewahren. Nur kleine Abschnitte werden befallen, wodurch sich der Wald schneller wieder erholen kann.

  • Abgestorbene und umgestürzte Bäume bilden sogenanntes Totholz. Es bietet zahlreichen Lebewesen ein Zuhause und verrottet langsam zu wertvollem Humus.

  • All diese besonderen Eigenschaften machen Urwälder zu wertvollen Verbündeten im Kampf gegen die Klimakrise. Ihre Superpower ist es, riesige Mengen Kohlenstoff binden zu können. Solange der Wald intakt bleibt, ist er in Bäumen und Boden gespeichert und hat keine Chance, als klimaschädliches Gas unsere Atmosphäre zu erhitzen.

Weltweit existieren leider nur noch wenige solche ursprünglichen und besonders wertvollen Wälder. Vor allem die Regenwälder des Amazonas sowie die borealen Nadelwälder Sibiriens weisen noch größere Urwaldgebiete auf. Reste von Urwäldern sind auch in Skandinavien, Kanada und den USA zu finden. Auch in Mitteleuropa gibt es noch einige wenige Urwälder – sogar bei uns! Die teilweise noch unberührten Wälder der Karpaten ziehen sich bogenförmig von Serbien über Rumänien, die Ukraine, Polen, Tschechien, Ungarn und die Slowakei bis nach Österreich. Durch das malerische Naturparadies in unserer unmittelbaren Nähe streunen Teile der letzten Populationen der Luchse, Wisente und Wildkatzen Europas. Doch zunehmende Waldzerstörung gefährdet die sensiblen Tiere.

Fleisch, Soja, Papier und Möbel für den Westen


Urwälder sind auf unserem Planeten bereits rar, trotzdem schrumpfen sie täglich weiter. So wird etwa der Amazonas Regenwald großflächig – und teilweise illegal – gerodet und durch riesige industrielle Viehweiden und Futtermittel-Plantagen ersetzt. Das Rindfleisch sowie die gigantischen Mengen an Soja, die dort produziert werden, sollen vor allem den Hunger nach Fleisch der Menschen im globalen Norden und China stillen.

Auch für die Herstellung von Papier, Verpackungen, Möbel und Baumaterial werden Urwälder kahl geschlagen. Für ihre Produktion werden nicht nur im entfernten Amazonasgebiet Urwälder brutal vernichtet, auch direkt vor unserer Haustüre wüten die Kettensägen.

Urwald in Österreich

Auch in Österreich gibt es noch urtümliche Wälder, in denen Jahrhunderte alte Buchen, Tannen und Eichen Seite an Seite in den Himmel ragen. Zwischen ihnen ruhen kreuz und quer die toten Stämme umgefallener Bäume, überwuchert von Schwämmen und Pilzen. Nur selten spazieren Wanderer auf den wenigen Wegen, denn der Besuch des Wildnisgebiets Dürrenstein-Lassingtal, im südwestlichen Niederösterreich, ist für sie nur eingeschränkt möglich. 

Aus gutem Grund ist das Gebiet geschützt: Der dort gelegene Rothwald ist der letzte unberührte Urwald Österreichs und einer von wenigen, die noch in Europa zu finden sind. Hier darf sich die Natur noch wild entfalten. Sie beheimatet nicht nur Buchen, sondern auch viele andere Bäume, darunter Tannen, Silberpappeln, Zirben, Eichen, Lärchen und Ahorne. Auf ihren Ästen halten Eulen und Kauze nach Beute Ausschau. Und auch Steinhühner, Birkwild und viele Insektenarten tummeln sich im Dickicht.

Neben dem Rothwald gibt es nur noch wenige kleine Urwald-Zellen, etwa im Wildnisgebiet Sulzbachtäler im Nationalpark Hohen Tauern in Salzburg. Insgesamt sind nur 0,7 Prozent der heimischen Wälder in einem naturnahen Zustand. Viel charakteristischer für die österreichische Landschaft sind sogenannte Nutzwälder. Sie dienen vor allem wirtschaftlichen Zwecken, etwa dem Holzabbau, oder werden als Erholungsgebiete oder als Schutzwald gegen Steinschlag, Lawinen und Muren genutzt. Ihr Beitrag zur Artenvielfalt und ihr Wert als Kohlenstoff-Speicher fällt im Vergleich zu Urwäldern geringer aus.

Was ist ein Nutzwald oder Forst?

Beide Begriffe bezeichnen einen Wald, der forstwirtschaftlich genutzt wird. Im Gegensatz zum wild wachsenden Urwald haben Menschen hier alles unter Kontrolle – sie entnehmen dem Wald regelmäßig Holz und pflanzen gezielt neue Bäume an. Das abgetragene Holz dient als Brennstoff und als Rohstoff für eine Vielzahl von Produkten, zum Beispiel wird es zur Herstellung von Bauholz, Papier und Möbel verwendet.

Wird der Wald wirtschaftlich genutzt, sind Vielfalt und Wildwuchs nicht gern gesehen. Zumeist bestehen solche Wälder nur aus einer oder wenigen unterschiedlichen Baumarten und die Bäume werden großflächig zur selben Zeit angepflanzt und abgeholzt. Totholz sucht man vergeblich, denn abgestorbene Bäume werden zügig abtransportiert.

Der Boden leidet unter der intensiven Bewirtschaftung und ist daher weit weniger gut geeignet, um klimaschädliches CO2 aufzunehmen. Wird das Holz zur Herstellung kurzlebiger Produkte oder als Brennstoff verwendet, gelangt auch der in den Stämmen gespeicherte Kohlenstoff frühzeitig in die Atmosphäre und heizt die Klimakrise an.

Fichte neben Fichte neben Fichte


Etwa 50 Prozent Österreichs ist bewaldet – fast zur Gänze mit Nutzwäldern. Hier dominiert vor allem eine Baumart: die Fichte. Da die Nadelbäume verhältnismäßig schnell wachsen und gutes Baumaterial liefern, werden sie in gigantischen Monokulturen angepflanzt. Fast jeder zweite Baum in Österreich ist heute eine Fichte! Das einheitliche Holz und die strikte Ordnung im Wald erleichtern die maschinelle Pflanzung, Pflege und Ernte – der Gewinn wird dadurch maximiert.

Ökologisch betrachtet sind Monokulturen jedoch katastrophal. Fichten entziehen dem Boden mehr Nährstoffe als andere Baumarten, was dazu führt, dass der Boden über die Zeit verarmt. Wird Stickstoff gedüngt, kommt es zur Versauerung des Bodens. Viele Pflanzen können dann nicht mehr wachsen und Bodenorganismen und Regenwürmer sterben. Schädlinge, wie der Borkenkäfer, haben leichtes Spiel in der homogenen Landschaft und bringen unzählige Bäume zu Fall. 

Hinzu kommt, dass Fichten ursprünglich in höheren Lagen und im Norden beheimatet sind und kühles Klima bevorzugen. Der Klimawandel und der damit verbundene Temperaturanstieg schwächen sie. Als Flachwurzler sind sie zudem anfälliger für Trockenheit. Auch Stürmen und Unwettern, die sich durch die Klimakrise zunehmend häufen, bietet ein so gleichförmiger Wald keinen Widerstand. Verständlich, dass kaum Tiere gerne an so einem unwirtlichen Ort leben wollen.

Unsere Wälder müssen natürlicher werden


Einseitige Monokulturen bringen vielfältige Probleme mit sich. Um der Klima- und Artenkrise zu begegnen, müssen unsere Wälder natürlicher werden. Das bedeutet, dass wir mehr Mischwälder brauchen, die weniger intensiv genutzt werden.

Aufgrund ihrer unterschiedlichen Baumarten sind Mischwälder deutlich robuster. Ihr breites und tiefes Wurzelwerk schützt zuverlässiger vor Erosion und wirkt positiv auf die Regulation des Wasserhaushalts. Werden Bäume einzeln entnommen, statt ganze Areale abzuholzen, bleibt der Boden intakt und kann in seiner Humusschicht Kohlenstoff anreichern. Verbleibendes Totholz bietet zudem vielfältigen Tieren Unterschlupf.

Der ökologische Nutzen vieler Forste wurde in den letzten Jahrzehnten bis an die Grenzen heruntergewirtschaftet. Und durch die Klimakrise geraten die Wälder immer stärker unter Druck: Trockenheit, Extremwetter und Schädlingsbefall bedrohen die Artenvielfalt und die Verfügbarkeit von Holz für uns Menschen. 

Aber auch ihre Funktion als Senke für schädliche Treibhausgase nimmt dadurch ab. Schätzungen von Wissenschafter:innen zufolge nehmen österreichische Wälder seit 2003 keine zusätzlichen CO2-Emissionen aus der Atmosphäre auf. Aktuelle Prognosen zeigen zudem, dass unsere Wälder und andere Naturflächen im Jahr 2050 um 77 Prozent weniger Kohlenstoff speichern könnten als 1990. Das stellt unsere Gesellschaft im Hinblick auf die Klimakrise vor dramatische Herausforderungen. Wir können sie nur mit natürlichen und gesunden Wäldern meistern.

Urwald schützen, Wälder renaturieren! 

Unsere wertvollsten Mitstreiter im Kampf gegen die Klimakrise sind die noch wenigen intakten Urwälder. Wir müssen sie um jeden Preis schützen, um ihren Wert für die Artenvielfalt und ihren positiven Effekt auf das Klima zu bewahren. Auf keinen Fall dürfen die letzten Urwälder gerodet werden und zu Viehweiden, Plantagen oder Asphaltwüsten verkommen.

Doch auch andere Wälder spielen eine wesentliche Rolle, wenn unsere Erde eine lebenswerte Heimat für Menschen, Tiere und Pflanzen bleiben soll. In Österreich etwa werden Wälder zum überragenden Teil intensiv wirtschaftlich genutzt. Doch auch in unseren Nutzwäldern müssen sich vielfältige Lebensräume entwickeln können. Nur mit gesunden und widerstandsfähigen Wäldern können wir die Klimakrise abfedern und die Zukunft unseres Planeten sichern. Wichtig ist daher, dass Nutzwälder naturnah wachsen können und nachhaltig bewirtschaftet werden. Für uns Menschen steht viel auf dem Spiel.