EU-Taxonomie-Verordnung: Mit Atom & Gas aus der Klimakrise? Nein!
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EU-Taxonomie-Verordnung: Mit Atom & Gas aus der Klimakrise? Nein!
Laut EU-Taxonomie gelten die Technologien als “nachhaltig”. Wie kommt es dazu und warum haben Umweltorganisationen nun Klage eingereicht?
Claudia Dlapa
Chefredakteurin
Die Botschaft war nicht neu, aber nach wie vor alarmierend. In seinem erst kürzlich veröffentlichten Abschlussbericht stellte der Weltklimarat (IPCC) klar: Um die Erhitzung der Erde auf 1,5-Grad zu begrenzen, müssen wir sofort alle uns zur Verfügung stehenden Kräfte mobilisieren. Verfehlen wir das wichtige Ziel, werden die Folgen für die Welt massiv schlimmer ausfallen.
Ein wesentlicher Faktor für einen erfolgreichen Wandel ist die Finanzierung. Die gute Nachricht: Wir haben genug Geld, um auf ein klimaschonendes, sozial gerechtes Energiesystem und einen nachhaltigen Ressourcenverbrauch umzurüsten. Doch noch fließt zu viel davon in fossile Brennstoffe und andere Klimakiller, während viele klimafreundliche Initiativen zu wenig bekommen.
Um das zu ändern, hat die EU-Kommission 2020 die EU-Taxonomie-Verordnung beschlossen. Sie soll dazu führen, dass private Investor:innen ihr Vermögen vermehrt in nachhaltige Unternehmen und Anlageformen stecken. Denn neben öffentlichem wird auch privates Geld dringend benötigt, um die Transformation zu schaffen.
Vor allem die Finanzierung erneuerbarer Energien muss gesichert werden.Laut Weltklimaratsind sie der mächtigste Hebel, der uns davor bewahrt, noch weiter in die Klimakatastrophe abzurutschen. Allein mit dem Ausbau von Wind- und Solarenergie könnten wir laut IPCC bis 2030 weltweit rund 8,5 Milliarden Tonnen CO2 einsparen. Das entspricht in etwa dem Gesamtausstoß der Produktion in der EU über einen Zeitraum von zweieinhalb Jahren.
Entsprechend schockiert reagierten Klimaexpert:innen auf die Entscheidung der EU-Kommission, auch Atomkraft und fossiles Gas in der EU-Taxonomie als “nachhaltig” einzustufen. Schließlich verursacht fossiles Gas extrem klimaschädliche Emissionen. Und Atomenergie ist nicht nur gefährlich, sondern auch teurer als erneuerbare Energien und behindert deren Ausbau. Gas- und Atomkraftwerke bekommen durch das grüne Label nun Zugang zu Geldern, die sonst in erneuerbare Energien fließen würden, so die Kritik.
Tatsächlich ignoriert die EU-Kommission mit der Aufnahme von Gas und Atom in die Taxonomie nicht nur wissenschaftliche Erkenntnisse, sondern widerspricht sogar den Empfehlungen der eigenen Expert:innen. Umweltorganisationen kritisieren die Entscheidung deshalb scharf. Viele von ihnen reichten kürzlich Klage gegen die EU-Verordnung ein.
Wir erklären genauer, was es mit der EU-Taxonomie auf sich hat und warum Umweltorganisationen wie Greenpeace klagen.
Die EU-Taxonomie-Verordnung ist ein Kriterienkatalog, der ökologisch nachhaltige Wirtschaftstätigkeiten und Finanzprodukte eindeutig als solche kennzeichnen soll. Dank des grünen Labels sollen Investor:innen leicht zwischen nachhaltigen und nicht nachhaltigen Anlageformen unterscheiden und ihr Geld gezielt klimafreundlich anlegen können.
Die Kennzeichnung soll Greenwashing verhindern. Denn nicht jedes Produkt darf nun als “grün”, “nachhaltig” oder “klimafreundlich” beworben werden. Anleger:innen sollen sich sicher sein können, dass dort, wo “grün” draufsteht, auch “grün” drin ist.
Eigentlich eine sinnvolle Sache, so eine Kennzeichnung.
Doch seit Anfang des Jahres gelten laut Verordnung auch Atomkraft und fossiles Gas unter bestimmten Umständen als “nachhaltig”. Die EU-Kommission stellt die umwelt- und klimaschädlichen Energiequellen damit auf die gleiche Stufe wie beispielsweise Wind- oder Solarprojekte.
Klima-Expert:innen kritisieren, die EU-Kommissionverpasst Klimakillern einen grünen Anstrich und betreibt damit ihrerseits Greenwashing.
Die Frage drängt sich auf: Was bedeutet “nachhaltig” überhaupt laut Taxonomie-Verordnung?
Um das Öko-Label zu bekommen, müssen Unternehmen nachweisen, dass sie zur Verwirklichung bestimmter Umweltziele beitragen. Folgende Ziele sind in der EU-Taxonomie-Verordnung festgelegt:
Klimaschutz
Anpassung an den Klimawandel
Nachhaltige Nutzung und Schutz der Wasser- und Meeresressourcen
Übergang zur Kreislaufwirtschaft
Bekämpfung der Umweltverschmutzung
Schutz und Wiederherstellung der biologischen Vielfalt und der Ökosysteme
“Grüne” Unternehmen oder Finanzproduktemüssen wesentlich dazu beitragen, mindestens eines dieser Umweltziele zu erreichen. Sie dürfen außerdemkeinem anderen Ziel schaden.
Was diese Vorgabe genau bedeutet, wird in ergänzenden Rechtsakten näher beschrieben. An der Ausarbeitung dieser “technischen Details” sind meist nicht mehr alle Staaten, sondern nur noch wenige Expert:innen beteiligt. Vor allem bei heiklen Themen ist die Verfahrensweise beliebt, denn langwierige Diskussionen oder ein ordentliches Gesetzgebungsverfahren werden auf diese Weise leicht umgangen. Das EU-Parlament hat am Ende nur die Möglichkeit, den Vorschlag der Kommission innerhalb von zwei Monaten abzulehnen – sonst tritt er in Kraft.
So kommt es, dass dort nun neben erneuerbaren Energien, eben auch fossiles Gas und Atomkraft als “taxonomiegeeignet” klassifiziert sind. Die Entscheidung spiegelt vor allem die Interessen der Länder mit starker Atom- bzw. Gas-Lobby wider. Dazu zählen Frankreich, Deutschland und einige osteuropäische Staaten. Österreich hat hingegen bereits Klage gegen den Beschluss eingereicht, Luxemburg hat sich dieser angeschlossen.
Atom- und Gaskraftwerke sind laut EU-Taxonomie-Verordnung seit 1. Januar 2023 also als “notwendige Tätigkeit für den Übergang zu einer klimaneutralen Wirtschaft” eingestuft. Sie tragen damit das Label “grüne Investition” bzw. “wesentlicher Beitrag zum Klimaschutz”.
Wir klären, ob die Technologien wirklich nachhaltig sind.
Die Bewertung als nachhaltig gilt laut EU-Taxonomie-Verordnung für neue Atomkraftwerke, die bis 2045 genehmigt werden, sowie für modernisierte Kraftwerke zur Laufzeitverlängerung bis 2040. Einzige Voraussetzung für den Erhalt des Ökolabels ist, dass es einen konkreten Plan für die Endlagerung des Atommülls ab spätestens 2050 gibt.
Wie Atommüll sicher entsorgt werden kann, ist derzeit aber nicht ansatzweise beantwortet. Dass bis 2050 eine Lösung existiert, ist dementsprechend unrealistisch. Atom-Expertin und Physikerin Oda Becker kritisiert, dass die EU-Kommission die ungeklärte und gefährliche Lagerung des radioaktiven Abfalls und andere Verstöße gegen die Umweltziele nicht ausreichend wissenschaftlich geprüft oder widerlegt hat.
Nicht nur die Lagerung des Abfalls ist gefährlich. Tschernobyl und Fukushima haben gezeigt, wie riskant der Betrieb von Atomkraftwerken ist. In der Ukraine sind mehrere Kraftwerke in Gefahr, durch den Krieg beschädigt zu werden.
Atomenergie wird häufig als “sauber” bezeichnet, weil bei der Kernspaltung keine Emissionen freigesetzt werden. Sie ist aber, anders als oft behauptet, nicht emissionsfrei. Um ein Kernkraftwerk zu betreiben, wird viel Energie benötigt, etwa für den Abbau von Uran, die Herstellung der Brennelemente, den Kraftwerksbau sowie die Endlagerung des Abfalls. Dabei werden große Mengen CO2 ausgestoßen. Für die Taxonomie wurden diese Emissionen nicht ganzheitlich berücksichtigt.
In einem Gutachten von Greenpeace betont Oda Becker, dass Atomkraft in keinem Fall einen Beitrag zum Klimaschutz oder als Brückentechnologie leistet. Denn der Bau von neuen Atomkraftwerkendauert Jahre bis Jahrzehnte, bis 2050 muss Europa aber klimaneutral sein.
Darüber hinaus ist Atomenergie sehr teuer. Effektiver und effizienter wäre es, das Geld in den Ausbau erneuerbarer Energien zu stecken. Genau das, was die EU-Taxonomie-Verordnung fördern soll, wird durch Aufnahme von Atomenergie also blockiert.
Neue Gaskraftwerke, die bis Ende 2030 genehmigt werden, bekommen ein grünes Label, wenn sie für die Energieerzeugung maximal 270 Gramm CO2 pro Kilowattstunde bzw. 550 Kilogramm im Durchschnitt über 20 Jahre ausstoßen. Sogar laut eigener Expert:innengruppe der EU-Kommission ist das zu viel: Sie bewertet nur eine Menge bis 100 Gramm als nachhaltig.
Die Richtwerte der Taxonomie ergeben sich aus der Annahme, dass die entsprechenden Anlagen bis Ende 2035 vollständig auf “klimafreundlichere” Gaseumgestellt werden. Ein unrealistisches Szenario, berücksichtigt man etwa Studien zur Entwicklung von grünem Wasserstoff. Um bis 2030 nur 1 Prozent des Energiebedarfs in der EU zu decken, müsse seine Produktion ähnlich schnell wachsen wie Solarenergie und doppelt so schnell wie Windenergie.
Fakt ist, Erdgas verursacht extrem klimaschädliche Methan- und CO2-Emissionen. Eine Analyse von Aurora Energy hat ergeben, dass die Aufnahme von Gas in die Taxonomie dem fossilen Brennstoff einen Wettbewerbsvorteil verschafft. Der Ausbau von Gas wird zusätzlich gepusht. Langfristig werden also noch größere Mengen des fossilen Klimakillers verbrannt und schädliche Treibhausgase ausgestoßen. Außerdem wird der Ausbau erneuerbarer Energien behindert.
Die genannten Expert:innen bestätigen, dass die Kennzeichnung von Atomkraft und Gas als "grün" irreführend und kontraproduktiv ist. Dass sich die EU-Kommission bei ihrer Entscheidung von echtem Interesse für die Bewältigung der Klimakrise leiten ließ, muss also bezweifelt werden. Viel wahrscheinlicher ist, dass die Bewertung als Brückentechnologie als Deckmantel zur Förderung etablierter Energiekonzerne dient.
Die Tragweite der Entscheidung, Atom und Gas als nachhaltig zu kennzeichnen, ist immens. Zwar ist die EU-Taxonomie bisher nur als Einordnung für Anleger:innen aus der Privatwirtschaft im europäischen Kontext vorgesehen. Doch was die EU als grünes Investment definiert, wird auch über europäische Grenzen hinaus auf Dauer Signalwirkung haben.
Dass Investitionen in Atomkraft und fossiles Gas seit Jahresanfang als grün gelabelt werden, ist für Greenpeace ein Skandal. Einige Länderbüros, darunter Greenpeace Österreich, ziehen deshalb vor den Gerichtshof der Europäischen Union.
Die renommierte Klima-Anwältin Roda Verheyen, die die Klage vertritt, erkennt zahlreiche Mängel bei der Einschätzung zu Atomkraft und fossilem Gas. Außerdem kann sie der EU-Kommission eine Reihe von Verfahrensfehlern und -mängel nachweisen. Laut der Anwältin verstößt der delegierte Rechtsakt nicht nur gegen die Bestimmungen der Taxonomie-Verordnung selbst, sondern auch gegen das europäische Klimagesetz und das Pariser Klimaabkommen.
Greenpeace kämpft weiter, bis Entscheidungsträger:innen die Klimaziele ernst nehmen und die Weichen für eine echte Energiewende gestellt sind.