EU-Mercosur: Der umstrittene Freihandelspakt einfach erklärt
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EU-Mercosur: Der umstrittene Freihandelspakt einfach erklärt

Obwohl Österreich die Unterzeichnung des Abkommens abgelehnt hat, könnte EU-Mercosur noch dieses Jahr in Kraft treten. Wir erklären, wie das möglich ist und welche Folgen damit für die Umwelt, das Klima und unsere heimische Landwirtschaft drohen.

Feuer rast auf einen einzelnen Baum im Amazonas zu

Die Antwort Österreichs war klar und deutlich: Alle Parteien außer den NEOS stimmten 2019 mit einem klaren Nein gegen die Unterzeichnung des EU-Mercosur-Freihandelsabkommens. Zu groß waren die Bedenken hinsichtlich der ökologischen und sozialen Auswirkungen. Da der Vertrag einstimmig von allen Mitgliedstaaten der EU beschlossen werden musste, galt die Absage aus Österreich faktisch als Veto.

Es schien, als wäre “EU-Mercosur” vom Tisch. Doch nun, drei Jahre später, wollen einige Befürworterländer sowie die EU-Kommission den Pakt doch noch durchsetzen. Zusatzvereinbarungen im Vertrag sollen die Bedenken der Gegner abschwächen. Führt auch das nicht zum Ziel, könnte ein Verfahrenstrick dabei helfen, den Widerstand Österreichs und anderer Länder einfach auszuhebeln.

Umweltschützer:innen gehen angesichts der drohenden Durchsetzung des Pakts auf die Barrikaden. Doch warum eigentlich? Höchste Zeit, dass wir uns “EU-Mercosur” noch einmal genauer ansehen.

Was war nochmal der Mercosur?

Mercosur steht als Kürzel für “Mercado Común del Sur”, also “Gemeinsamer Markt des Südens” und bezeichnet eine Zollunion mit freiem Handel in Südamerika. Sie wurde 1991 von Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay gegründet.

Das wirtschaftliche Interesse der EU am Mercosur kommt nicht von ungefähr: Nach der EU und der NAFTA (USA, Kanada & Mexiko) ist der Mercosur der drittgrößte Markt der Welt und der größte Markt Südamerikas. Er umfasst 295 Millionen Einwohner:innen und 70 Prozent der Fläche Südamerikas. Sein großes Wirtschaftsvolumen macht ihn zu einem attraktiven Handelspartner.

Ziel des EU-Mercosur-Freihandelsabkommens: Fleisch gegen Autos und Pestizide

Seit rund 20 Jahren verhandeln EU und Mercosur bereits über ein Freihandelsabkommen. Der Pakt soll den Handel zwischen den Partnern erleichtern, indem etwa Zoll-Gebühren gesenkt oder ganz abgeschafft werden.

Ziel des Abkommens ist es, vor allem den Handel mit Agrarprodukten, wie Fleisch und Zucker, Chemikalien, wie Pestizide, sowie Verbrenner-Fahrzeugen anzukurbeln. Profitieren würden in erster Linie die europäische Automobil- und Chemieindustrie sowie die südamerikanische industrielle Großlandwirtschaft.

Es sind vor allem umwelt- und gesundheitsschädliche Produkte, die durch das Abkommen gefördert werden, obwohl wir die Produktion und den Verbrauch dieser Waren eigentlich reduzieren sollten. Gegner:innen befürchten durch den EU-Mercosur-Handelspakt deshalb einen gefährlichen Rückschritt beim Klima- und Naturschutz.

Was kritisieren Gegner:innen des Abkommens?

Als 2019 der Vertragstext des Abkommens veröffentlicht wird, schrillen bei Umweltorganisationen, Wissenschaftler:innen, Indigenen und Gewerkschafter:innen die Alarmglocken. 

Ihre Befürchtungen werden bestätigt: Viele der Waren, deren Austausch das Abkommen ankurbeln soll, fördern Umweltzerstörung, Klimakrise, Artensterben, soziale Ausbeutung und Menschenrechtsverletzungen.

So legt der Pakt etwa die Rutsche für noch mehr Fleisch, Zucker und Ethanol in die EU – Waren, die in Südamerika unter sozial und ökologisch fragwürdigen Bedingungen hergestellt werden. 

Umgekehrt würde die EU durch den Pakt noch größere Mengen schädlicher Pestizide und Verbrenner-Autos in den Mercosur liefern. Nicht nur die Umwelt vor Ort wäre bedroht, auch für den Klimaschutz wäre die Entwicklung fatal.

Wenn wir den Handel und das Wirtschaftswachstum weiter ankurbeln, ohne Folgen für die Artenvielfalt und natürliche Ressourcen zu beachten, laufen wir in eine Klimakatastrophe.
Vizekanzler Werner Kogler zum Veto Österreichs, 2019

Die 3 Haupt-Kritikpunkte im Detail:

1. Noch mehr billiges Fleisch aus Umweltzerstörung in den Regalen

Schon jetzt werden in Südamerika riesige Waldflächen gerodet, um Platz für gigantische Rinderfarmen und Futtermittel-Plantagen mit Gentechnik-Soja zu schaffen. 90 Prozent der Zerstörung des Amazonas-Regenwaldes gehen seit 1970 auf die Rinderzucht zurück.

Wird Rindfleisch durch Zoll-Erleichterungen nun noch günstiger, nimmt die Nachfrage und damit die Produktion zwangsläufig zu. Laut einer Studie von Greenpeace und Misereor würde der Import von Rindfleisch durch den EU-Mercosur-Pakt um satte 50 Prozent in die Höhe schießen

Die Abholzung der südamerikanischen Wälder hat bereits ein dramatisches Ausmaß erreicht. Das Abkommen würde die Zerstörung noch beschleunigen – mit fatalen Folgen für das Weltklima. Denn die Wälder speichern große Mengen Kohlenstoff. Verlieren wir sie, erwärmt sich unsere Erde noch schneller.

Was bedeutet das für Österreich?

Die österreichischen Bäuer:innen werden massiv unter Druck geraten, wenn unsere Supermarktregale mit südamerikanischem Fleisch geflutet werden. 

Das Fleisch aus dem Mercosur wäre günstiger, aber auch oft von minderer Qualität. Die billige Herstellung von Fleisch im Mercosur-Raum ist möglich, weil dort mit niedrigeren Standards produziert wird. So werden Rinder etwa routinemäßig mit wachstumsfördernden Antibiotika gefüttert. Auch Zusätze mit hormoneller Wirkung werden dem Futter beigemischt. 

Beide Praktiken sind aus gutem Grund in Europa verboten. Erlaubt ist der Import von Fleisch aus Südamerika aber trotzdem. Das minderwertige Ramsch-Fleisch aus Übersee könnte heimische Produkte aufgrund seines Preisvorteils verdrängen und damit auch die österreichischen Betriebe vom Markt stoßen. Wir riskieren, viele unserer Kleinbäuer:innen zu verlieren.

2. Noch mehr giftige Pestizide auf den Feldern

Europäische Chemieunternehmen, etwa BAYER aus Deutschland, produzieren giftige Pestizide, die aufgrund der nachgewiesenen Gefahren für die Umwelt und die Gesundheit der Menschen in der EU nicht zugelassen sind. Herstellen und exportieren dürfen die Konzerne ihre schädlichen Produkte dennoch. Sie verkaufen sie einfach an Länder mit lockereren Regelungen

Schon jetzt werden große Mengen gefährlicher Umweltgifte nach Südamerika geliefert. Allein in Brasilien hat sich ihr Einsatz in den vergangenen 20 Jahren versechsfacht. Pro Hektar hat das Land nach China den zweitgrößten Pestizidverbrauch weltweit. Der EU-Mercosur-Pakt wird die Ausfuhr dieser Chemikalien noch fördern.

Pestizide vergiften Tiere und Pflanzen, dringen in den Boden ein und verseuchen das Grundwasser. Auch die Arbeiter:innen auf den Feldern sowie die Bewohner:innen angrenzender Dörfer sind gefährdet. Sie atmen die Chemikalien ein oder trinken verunreinigtes Wasser. Gesundheitliche Schäden bis hin zu Krebserkrankungen können die Folgen sein. 

Doch nicht nur die Menschen vor Ort kommen mit dem Gift in Kontakt: Zwar dürfen viele Pestizide in der EU nicht verwendet werden, der Import von Produkten, die damit außerhalb der EU behandelt wurden, ist allerdings erlaubt. So landen beispielsweise belastete Früchte, wie Limetten oder Mangos, in unseren Supermärkten, wie ein aktueller Test von Greenpeace erneut nachgewiesen hat.

3. Noch länger klimaschädliche Verbrenner auf den Straßen

Erst vor kurzem hat die EU zum Schutz des Klimas das Aus für Autos mit Verbrennungsmotor angekündigt. Ab 2035 sollen in der EU nur noch Neuwagen verkauft werden, die beim Fahren keine Treibhausgase mehr ausstoßen. 

Klingt vernünftig, schont das Klima aber wenig, wenn europäische Unternehmen, wie etwa VW, die produzierten Verbrenner einfach im Mercosur-Raum verkaufen und diese von dort aus die Atmosphäre aufheizen. Genau diese Entwicklung wird das geplante Abkommen durch die Zoll-Erleichterung begünstigen. Noch Jahrzehnte lang wird die europäische Automobilindustrie mit den im Mercosur verkauften Verbrenner-Autos Gewinne auf Kosten des Klimas einfahren.

Status Quo: Zwischen Beipackzettel & Splitting

Mit Jänner hat Schweden – und damit ein Befürworter des Abkommens – die EU-Ratspräsidentschaft übernommen und EU-Mercosur wieder auf die Agenda gesetzt. Die EU-Kommission und weitere Mitgliedstaaten unterstützen die Wiederaufnahme der Verhandlungen.

Derzeit wird mit den Ländern des Mercosur über einen “Beipackzettel” (additional protocol) zum eigentlichen Handelspakt diskutiert. Dort vermerkte Zusatzvereinbarungen sollen Missstände im ökologischen und sozialen Bereich in letzter Minute ausbügeln.

Dass der Pakt durch die Erweiterungen ökologisch und sozial verträglich wird, ist allerdings so gut wie ausgeschlossen. 2021 hat Greenpeace ein Rechtsgutachten in Auftrag gegeben – die renommierten Jurist:innen Markus Krajewski und Rhea Tamara Hoffmann von der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg kommen darin zum Schluß: Die gravierenden Mängel des EU-Mercosur-Abkommens bei Klima-, Umweltschutz und Menschenrechten können durch zusätzliche Vereinbarungen nicht beseitigt werden.

Aus Sicht der EU-Kommission und der Befürworter-Staaten machen die geplanten Vertragsklauseln dennoch Sinn. Denn sie ermöglichen es Ländern, die bisher gegen das Abkommen waren, gesichtswahrend die Seite zu wechseln. Auch Österreich soll so noch zur Zustimmung gedrängt werden. Letztendlich hofft die EU-Kommission, dass EU-Mercosur doch noch einstimmig von allen Ländern beschlossen wird.

Dass der Beipackzettel zur gewünschten Einigkeit führt, bewerten Expert:innen jedoch als unwahrscheinlich. Praktischerweise hat die EU-Kommission für diesen Fall noch ein weiteres Ass im Ärmel: Mit Hilfe eines fragwürdigen Verfahrenstricks, dem sogenannten “Splitting”, könnte das Abkommen nämlich auch ohne Zustimmung aller Länder durchgesetzt werden.

1. Trickserei oder alles rechtens: Was passiert beim “Splitting”?

Um die Zustimmung einzelner EU-Länder zum Abkommen zu umgehen, kann die EU-Kommission den Pakt in einen politischen Teil (Assoziierungsabkommen) und einen wirtschaftlichen Teil (Handelsabkommen) aufteilen. Das Verfahren nennt sich “Splitting”. 

Der wirtschaftliche Teil könnte dann ohne Mitsprache der nationalen Parlamente beschlossen werden. Es reicht eine qualifizierte Mehrheit im EU-Rat und eine einfache Mehrheit im EU-Parlament.

Um den Abstimmungsprozess zu ändern und damit das gewünschte Ergebnis zu erzielen, würde die EU-Kommission eine rechtliche Grauzone ausnutzen: Die Aufteilung des Vertrags ist rechtlich umstritten. Kritiker:innen bewerten das Vorgehen als demokratiepolitisch höchst bedenklich.

Das Abstimmungsverfahren soll taktisch so abgeändert werden, dass das gewünschte Ergebnis herauskommt. Das ist ein handfester demokratiepolitischer Skandal auf dem Rücken unserer Bäuerinnen und Bauern sowie der Umwelt!
Sebastian Theissing-Matei, Landwirtschaftsexperte bei Greenpeace

2. Wird der Plan aufgehen?

Die EU-Kommission wird in den kommenden Monaten versuchen, möglichst viele EU-Länder von der Verfahrensänderung zu überzeugen. Erst, wenn eine qualifizierte Mehrheit im EU-Rat sicher ist, wird die Kommission das Vorgehen dort zur Abstimmung bringen.

Welche Länder sich überzeugen lassen werden, ist schwer absehbar. Man kann nicht zwingend davon ausgehen, dass alle Befürworter des Abkommens sich für die Änderung des Abstimmungsprozesses aussprechen werden. Denn damit wäre ein Präzedenzfall geschaffen und der “Verfahrenstrick” könnte zum Usus werden. Länder, die diesmal vom Splitting profitieren, könnten in zukünftigen Situationen auch im Nachteil sein. 

Mitte Juli findet in Brüssel ein Gipfeltreffen der Regierungschefs der EU und der Gemeinschaft der Staaten Lateinamerikas und der Karibik (CELAC) statt. Erst kürzlich hat Vizekommissions-Präsident Frans Timmermans am Rande eines Besuchs in Mexiko den Wunsch geäußert, das Abkommen bis dahin abzuschließen.

Das nächste halbe Jahr wird also entscheidend sein: Gegner:innen sowie Befürworter:innen werden alles tun, um den Ausgang in ihrem Sinne zu beeinflussen.

Was tut Greenpeace?

Greenpeace bezieht eindeutig Stellung gegen EU-Mercosur und wird den Druck auf die Verantwortlichen in den kommenden Monaten verstärken. Unser Ziel ist es, den Pakt endgültig zu stoppen.

Wir setzen uns für faire Handelsabkommen ein, die unsere hohen ökologischen und sozialen Standards schützen. In Österreich hergestellte Produkte sind von ausgezeichneter Qualität. Viele Menschen leisten dafür harte Arbeit. Auf keinen Fall dürfen wir ihre Leistung aufs Spiel setzen.

Gefahren für die Umwelt müssen bei Verhandlungen von Anfang an einen zentralen Stellenwert einnehmen. Das geplante Abkommen mit seinen zum Teil zwanzig Jahre alten Ansichten wird diesen Ansprüchen in keiner Weise gerecht. Trotz kleiner Nachbesserungen folgt der Vertrag wirtschaftlichen Interessen und verdrängt Gefahren für die Umwelt in Randnotizen. 

Der EU-Mercosur-Pakt ist irreparabel. Anstatt dem Pakt weiter einen falschen grünen Anstrich zu verpassen, muss die EU ihn endlich begraben. Auch die österreichische Bundesregierung muss ihr Nein zu dem EU-Mercosur-Pakt jetzt vehement verteidigen.
Sebastian Theissing-Matei, Landwirtschaftsexperte bei Greenpeace

Statt Agrarexporten zu Dumpingpreisen Tür und Tor zu öffnen, muss die Produktion regionaler Bio-Lebensmittel in der EU gefördert werden. Dann können nicht nur heimische Landwirt:innen aufatmen. Auch das Weltklima, die Naturräume Südamerikas sowie die Gesundheit der Bewohner:innen der Mercosur-Staaten und europäischer Konsument:innen sind so vor zusätzlichen Bedrohungen bewahrt.