Klimawandel in den Alpen: Österreichs Bergwelt schwitzt
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Klimawandel in den Alpen: Österreichs Bergwelt schwitzt
Könnten Berge hecheln, den Alpen hingen ihre Gletscherzungen triefend aus dem Maul. Denn die Hitze in den alpinen Regionen steigt – sogar weit schneller als im globalen Mittel. Doch warum leidet gerade die Gebirgswelt so stark unter dem Klimawandel?
Claudia Dlapa
Chefredakteurin
Die Alpen sind das landschaftliche Wahrzeichen Österreichs. Sie bedecken rund 60 Prozent der Landesfläche und beheimaten unzählige Arten von Pflanzen und Tieren. Um die Auswirkungen des Klimawandels auf den vielfältigen Lebensraum wahrzunehmen, müssen wir keine Statistiken oder abstrakte Modelle studieren. Vielerorts sind sie mühelos mit freiem Auge zu erkennen. Doch wie genau zeigt sie der Klimawandel in den Alpen?
Dort, wo früher das vermeintlich “ewige Eis” der Gletscher in der Sonne funkelte, trüben heute häufig Schutt und Geröll das Alpenidyll. Denn die Gletscher der Alpen verschwinden – sie ziehen sich aufgrund des Klimawandels immer weiter zurück. Im Zeitraum von 2006 bis 2016 haben die heimischen Gletscher insgesamt 20 Prozent ihrer Eismasse eingebüßt. Bis zum Ende des Jahrhunderts könnten sie, laut aktueller Prognosen, komplett abgeschmolzen sein.
Begleitet wird die dramatische Entwicklung vom Ansteigen der Schneefallgrenze. Generell wird die weiße Pracht in den Bergen zunehmend weniger, aufgrund der steigenden Temperaturen geht Niederschlag nämlich immer häufiger in Form von – zum Teil starkem – Regen nieder. Da es vor allem die dicken Winterschneedecken sind, die Gletscher über den Sommer vor der Sonneneinstrahlung schützen, verschlimmert ein Ausbleiben des Schneefalls den Eisverlust. Vermehrte Starkregenfälle greifen das Eis zusätzlich an.
Nur ein wenig genauer muss man hinschauen, um den auftauenden Permafrost in den Alpen wahrzunehmen. Spätestens wenn Berghütten aufgrund des nun instabilen Untergrunds in Schieflage geraten, wird auch diese Bedrohung durch den Klimawandel so richtig bewusst. Durch Permafrost dauerhaft gefrorene Böden und Felswände halten Moränen und Schutthalden normalerweise in einem stabilen Zustand. Tauen sie auf, beginnen sich die festgefrorenen Erdmassen, Steine und Felsen allmählich zu lösen – gefährliche Steinschläge und Hangrutsche oder sogar ganze Bergstürze sind die Folge.
Neben Schnee und Eis werden auch Flora und Fauna der Alpen von der Entwicklung in Mitleidenschaft gezogen. Blicke auf blühenden Almwiesen und Tiere bleiben Wanderinnen und Wanderern besonders gerne im Gedächtnis hängen. Doch um solche Erinnerungen aus den Bergen mitzunehmen, muss man mittlerweile immer weiter über die Baumgrenze steigen. Einige Arten sind aufgrund der Klimaänderung bereits in höhere Lagen abgezogen.
Mit den Worten “Alles fließt, und nichts bleibt”, soll der Philosoph Heraklit einmal ausgedrückt haben, dass die Welt einer ständigen Veränderung unterworfen ist. Dass er dabei das Schmelzen der Gletscher vor Augen hatte, ist zu bezweifeln. Dennoch beschreibt sein Lehrsatz auf buchstäbliche Weise den Prozess, der sich derzeit in den Alpen abspielt.
Das Eis der Gletscher schmilzt zunehmend schneller und fließt vor allem im Sommer häufig in großen Mengen die Berge hinab – kurzfristig steigt durch das klimabedingte Abtauen also die Hochwassergefahr. Langfristig ist jedoch genau das Gegenteil, nämlich eine Wasserknappheit, die Folge. Der Gletscher verschwindet vollständig, die Wasserquelle versiegt. Einigen Flüssen fehlt es bereits jetzt an wichtigem Schmelzwasser. Besonders Landwirtschaft und Tourismus bekommen den Wassermangel zu spüren. Doch auch die Energieproduktion in Wasserkraftwerken geht durch die Entwicklung zurück. Durch den Mangel an Schnee haben die Gletscher kaum eine Chance, sich zu erholen und wieder an Masse zuzulegen.
Abtauender Permafrost und zunehmender Starkregen machen zudem Steinschläge, Felsstürze und Murenabgänge in den Alpen immer wahrscheinlicher. Zum Teil werden dabei Wanderwege verschüttet, im schlimmsten Fall gefährden die vermehrten Hangbewegungen ganze Siedlungen sowie Menschen und Tiere.
Die Pflanzen und Tiere der Alpen sind stark an ihren besonderen Lebensraum angepasst. Doch ihre Lebensbedingungen sind durch die Klimaänderung einem drastischen Wandel unterworfen. Manche Bewohner der Alpen sind wahre Lebenskünstler und passen sich der neuen Situation geschickt an. Für viele ist das rasante Tempo, das der Klimawandel vorgibt, allerdings schwer durchzuhalten.
Schmetterlinge, Reptilien, Bäume und Sträucher zählen zu den Sprintern: Um für sich passende Lebensräume zu erschließen, wandern sie innerhalb von zehn Jahren ganze 33 Höhenmeter nach oben. Vögel und Farne sind mit 15 Höhenmetern nur halb so schnell. Tiere und Pflanzen passen ihre Aktivitäten zudem unterschiedlich schnell an die verschobenen Jahreszeiten an. Da das Zusammenwirken von Flora und Fauna in den Alpen eng aufeinander abgestimmt ist, kann das sensible Ökosystem dadurch aus der Balance geraten.
Tiere wandern tendenziell von der Alpennord- auf die Alpensüdseite oder in höhere und daher noch kühlere Gefilde. Doch nicht alle Arten finden an anderer Stelle passende Lebensbedingungen vor. Murmeltiere reagieren beispielsweise sehr empfindlich auf die zunehmende Wärme, vielerorts sind sie deshalb bereits in höhere Lagen umgezogen. Doch irgendwann können auch die mobilen Nager nicht mehr weiter nach oben klettern. Je höher die Lage, desto dünner wird der Boden – ab einer gewissen Höhe ist nicht mehr genug Humus vorhanden, um sich darin geeignete Höhlen für den Winterschlaf zu buddeln.
Auch für Pflanzen sind rasche Klimaänderungen fatal. Generalisten sind flexibel und kommen mit neuen Bedingungen gut zurecht. Sehr spezialisierte Arten haben es jedoch um einiges schwerer. Mit genügend Zeit hätten zwar auch sie gute Chancen, sich anzupassen, doch der Klimawandels zeigt gegenüber Nachzüglern kein Erbarmen. Zudem stoßen auch die beweglichsten Arten am Weg nach oben irgendwann ans Ende der alpinen Sackgasse. Dort machen ihnen weitere, von unten nach oben drängende Arten den wenigen noch übrigen Lebensraums streitig. Falls sich der Temperaturanstieg in den Alpen weiter beschleunigt, ist ein Voranschreiten des Artensterbens unausweichlich.
Mit zwei Grad Celsius sind die Temperaturen in den vergangenen 100 Jahren in den Alpen doppelt so stark gestiegen wie es im globalen Durchschnitt der Fall war. Das kann zum Teil dadurch erklärt werden, dass es im Alpenraum aufgrund eines letzten Ausläufers der “Kleinen Eiszeit” Ende des 19. Jahrhunderts besonders kalt war. Der Temperaturanstieg der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ist primär auf die Rückkehr zum “Normalzustand” zurückzuführen. Erst der weitere Anstieg ab etwa 1970 kann ausschließlich dem menschengemachten Klimawandel zugeschrieben werden. Doch auch die ab diesem Zeitpunkt gemessenen Temperaturänderungen weisen auf eine stärkere Zunahme in den Alpenregionen hin.
Generell erwärmen sich Landmassen aufgrund ihrer geringeren Wärmekapazität schneller als Ozeane und geben auch mehr Wärme an die Luft ab. In den Alpen sind es vor allem früher schmelzende Schneedecken, die den Temperaturwandel zusätzlich beschleunigen. Schneedecken wirken schützend auf Landmassen und Gletscher, da sie die Sonneneinstrahlung größtenteils reflektieren. Die nun zunehmend schneefreien, dunkleren Oberflächen der Berge absorbieren die Strahlung weitaus stärker.
Somit müssen wir auch für die Zukunft damit rechnen, dass sich die Situation in den Alpen durch den fortschreitenden Klimawandel schneller zuspitzt als in manch anderen Regionen der Welt.